Kindgerechte Pädagogik für den Elementarbereich

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Prof. Dr. Matthias Hugoth,
Pädagoge und Theologe
Katholische Hochschule Freiburg


Den Kindern gerecht werden! –

Der lange Weg zur Verständigung über eine kindgerechte Pädagogik für den Elementarbereich


Ein Blick in die Geschichte der Kindheit: keine Erfolgsgeschichte der Humanität


Entwicklungen und Ansätze der Pädagogik für den Elementarbereich

  • Das sozialfürsorgliche Motiv für eine institutionelle Kleinkinderziehung
  • Das bildungspolitische Motiv für eine institutionelle Kleinkinderziehung
  • Auf dem Weg zu einer eigenständigen Kindergartenpädagogik
  • Mit einem eigenen Bildungsauftrag zu einer Bildungseinrichtung etabliert


Die Entwicklung in Ost und West


Nach der Wende: Wie stehen die Kitas in Deutschland heute da?


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Wer die Quellen und Bücher zur Geschichte der Kindheit liest, wird auf eine Erkenntnis stoßen, die er wahrscheinlich mit eigenen Kindheitserfahrungen bestätigen kann: Kinder standen schon immer unter der Verfügungsgewalt von Erwachsenen. Sie bestimmten und bestimmen, ob ein Kind zur Welt kommt, was für es gut ist, was aus ihm werden soll, welche Bedeutung es für die Mutter, den Vater, die Familie hat, welche Stellenwert man ihm in der Gesellschaft gibt, und wozu man Kinder braucht.

Kinder waren und sind Wunschkinder und geliebt; viele dagegen waren und sind „eigentlich gar nicht vorgesehen“ und nun „trotzdem da“; die meisten gehören dazu, zur Familie, unserer Straße, unserer Stadt; viele stehen eher im Weg und durchkreuzen die Lebenspläne ihrer Eltern. Dann wiederum investieren Eltern und Pädagoginnen und Pädagogen viel in „das Beste“ für die Kinder – an Zuwendung und Engagement, an Überstützung und Förderung, an Zeit und Geld.
Kurz: Die Geschichte der Kinder im Leben der Erwachsenen ist bestimmt von Ambivalenzen, Widersprüchen und einem Spannungsfeld zwischen Liebe und Labilisierung. Sie kann nur punktuell als eine „Erfolgsgeschichte der Humanität“ bewertet werden.

Und dann die Politik: Die Geschichte – bis in die jüngste Vergangenheit unseres Landes hinein – ist voller Belege dafür, dass man Kinder zu vaterländischen, sozialistischen, christlichen, freiheitlich-demokratischen, zu fleißigen, angepassten, staatsdienlichen, aber auch mündigen und verantwortungsvollen Menschen erziehen wollte: Wer den Zugriff auf die Kinder hat, der kann sich seine künftigen Bürger formen, wie er sie braucht. Es sei denn: Die Kinderlobbyisten und schließlich die Kinder selbst wehren sich erfolgreich gegen Vereinnahmung, Fremdbestimmung, Entmündigung.

Dazu braucht es eine kindgerechte Pädagogik – die sich aber immer noch nicht überall durchgesetzt hat. Denn das Erbe wiegt auch in der Pädagogik schwer: Dieses war bestimmt von einem Spannungsfeld zwischen „Dämonisierung und Idealisierung“. „Dämonisierung“ zeigte sich in pädagogischen Maximen wie: Das unbändige, wilde Kind zähmen und es zurechtschneiden. Den Stolz der Kinder brechen. Dem Kind Zucht und Ordnung beibringen. Nur ein gehorsames Kind ist ein gutes Kind. Zuckerbrot und Peitsche, das hilft auch beim wildesten Kind.
„Dämonisierung“ aber auch wenn es hieß: Wie soll ich all die Kindermäuler stopfen? Die fressen mir noch die Haare vom Kopf. Wer mehr als drei Kinder ab, der gerät leicht in die Armutsfalle.
Heute trifft man solche „Dämonisierungen“ gottlob kaum noch an. Aber bisweilen einige Abwandlungen davon – etwa in Form von „Pathologisierungen“: Eltern und Pädagogen sehen überall Gefahren für das Kind, es muss alles für die Gesundheit des Kindes, die körperliche wie die seelische, getan werden. Kleinste Anzeichen von Unwohlsein, von Stress und Unruhe werden als Zeichen einer aufkommenden Krankheit und gar einer versteckten Behinderung gesehen. Das ständige Problematisieren von kindlichen Verhaltensweisen, das Diagnostizieren von Auffälligkeiten, der Mangel an Vertrauen in das Kind und seine Lebens- und Widerstandskräfte – das alles kommt als „Sorge um das Kind“ daher, kann aber wieder zu einer subtilen Form der Definitionsmacht über das Kind ausarten und als Pathologisierung eine Fortsetzung der alten Dämonisierung darstellen.
Das Gegenteil – die „Idealisierung“ – war und ist für das Kind ebenso fatal. Denn hier wird das Kind als unschuldig, rein, frei von jeder Bosheit und Hinterlist, als klein und wehrlos, als nicht berechnend und mit einem großen Herzen gesehen – als ein Vorbild für einen Menschen „ohne Schuld und Tadel“. Zeugen solcher idealisierter Kinder sind unendlich viele Bilder von braven, gutmütigen, arglosen, unschuldigen und tapferen Kindern in Kinderbüchern, Kinderliedern und -geschichten. Aber auch Engeldarstellungen und Bilder vom Jesuskind in der Krippe und auf dem Schoß seiner Mutter.

Idealisierungen heute kommen etwas anders daher: Als pädagogische Leitsätze vom kompetenten Kind von Anfang an; vom Kind, das eigentlich schon alles mitbringt, was es für das Leben braucht; vom Kind als „unserer Zukunft“. Man kann sogar das Zertifikat „Kinderfreundlicher Betrieb“ und „Kinderfreundliche Stadt“ erwerben: Wer Kinder Lebensraum bietet, Spielplätze und -straßen schafft, Kindergärten, Kinderhäuser und Schulen baut, von dem kann man nur Gutes denken.

Hinter diesen plakativen Markierungen der Kinderbilder und Wertzuschreibungen stehen natürlich konkrete Menschen. Die meisten „meinen es nur gut“ mit den Kindern – aber ist dies auch gut für sie?

Dieser Frage soll im Folgenden nachgegangen werden, indem sie darauf fokussiert wird: Welche Pädagogik ist „gut“ für das Kind? Was dachten Personen darüber, die für die Theorie und Praxis einer Pädagogik der Kindheit zuständig waren und sind?

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Für die DDR lässt sich festhalten: Der Kindergarten (hier wurde an diesem Begriff festgehalten wie auch an der Bezeichnung „Kindergärtnerin“; „Kindertageseinrichtung“ bzw. „Kindertagesstätte“ sind Nachwendebegriffe) war deutlich schulvorbereitend ausgerichtet. Dies lässt sich schon daran festmachen, dass die behördliche Zuständigkeit beim Ministerium für Volksbildung lag, das den Kindergarten als erste Stufe des sozialistischen Schulsystems definierte. Um die Kinder im Kindergarten optimal auf die Schule vorzubereiten und von Anfang an die Weichen für die Bildung zum sozialistischen Menschen zu stellen – und zudem alle Frauen an der sozialistischen Produktion zu beteiligen –, existierte in der DDR ein vollständig ausgebautes, flächendeckendes und alle Altersstufen umfassendes System der Kinderbetreuung – von der Krippe über den Kindergarten bis zum Hort.
Ab 1968 galt in der DDR ein einheitlicher Bildungs- und Erziehungsplan für die Kindergärten. Dieser wurde 1985 zum „Programm für die Bildungs- und Erziehungsarbeit im Kindergarten“ erweitert. Dieses Programm enthielt auch staatliche Planungsvorgaben auch für die Krippen, die im Gesundheitsbereich angesiedelt waren.
Durch diese staatlichen Ziel- und Planungsmaximen und durch die staatlichen Kontrollen hatten freie Träger keine Chance. Im Unterschied zur Bundesrepublik gab es in der DDR keine Trägervielfalt und damit auch keine pädagogische und konzeptionelle Vielfalt. Nach der sozialistischen Einheitspädagogik sollte das Kind zu einem produktiven Mitglied der sozialistischen Gesellschaft werden.

Das am Anfang dieses Beitrages aufgezeigte Spannungsfeld der Frühkindpädagogik zwischen Fremdbestimmung und Autonomie wurde in der DDR zugunsten der Fremdbestimmung entschieden mit der Konsequenz einer verordneten Anpassungspädagogik.

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Man kann nicht davon ausgehen, dass bei der Sorge um Kleinkinder, also die Kinder vor der Vorschulzeit, von Anfang an pädagogische Programme verfolgt wurden. Je nach dem Bild, das von Kindern vorherrschte, und je nach der Bedeutung, die man ihnen für die Familie und für die Gesellschaft zugesprochen hat, bewegte man sich bei dieser „Sorge um unsere Kinder“ zwischen „bewahren, betreuen, pflegen“ und „erziehen und bilden“. Heute wird dieses Spannungsfeld entschärft, indem man die „Sorge um die Kinder“ in Institutionen außerhalb der Familie auf Grundvollzüge „erziehend, bilden und betreuen“ fokussiert – wobei sich in den letzten 20 Jahren der Schwerpunkt von der Betreuung eindeutig auf die Bildung verschoben hat. Um dies besser zu verstehen, hilft ein Blick in die Geschichte der institutionellen „Sorge um unserer Kinder“.

Die Anfänge der institutionellen Sorge um die Kinder gehen in Deutschland auf die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts zurück. Damals entstanden vermehrt Einrichtungen der öffentlichen Kleinkinderziehung an unterschiedlichen Ortes des Landes. Um 1850 existierten im deutschsprachigen Raum etwa 500 bis 600 Einrichtungen mit unterschiedlichen Zuschnitten. Bezeichnend für die „Philosophie“ dieser Einrichtungen waren ihre Namensgebungen: Oft enthielten diese den Begriff „Schule“ – Kleinkinderschule, Spielschule, Warteschule, Aufsichtsschule; oft aber auch den Begriff „Anstalt“: wie Kleinkinderbewahranstalt, Pflegeanstalt. Ab 1840 verbreitete sich stetig der von Friedrich Fröbel (1782–1852) begründete Begriff des „Kindergartens“. Ab 1844 gab es in Bayern, Württemberg und Preußen die ersten Krippen.
Allen gemeinsam war, dass sie sich bei ihrer Ausstattung stark an den Schulen orientierten: Es wurde mit diversen Tafeln gearbeitet – Schiefer-, Wand-, Bildertafeln. Es gab eine Art Stundenplan, der zu festen Zeiten Übungseinheiten unterschiedlichster Art enthielt – von Sinnes-, Schreib-, Rechen- und Gesangsübungen bis zu Körperübungen, Handarbeiten und Spielen. Kurz: Die frühkindliche Erziehung orientierte sich auffallend nach den schulischen Erziehungs- und Lernplänen.
Die Ziele der Erziehung bestanden in einer körperlichen und geistigen Ertüchtigung, in dem Einüben in kindliche Tugendhaftigkeit wie Fleiß, Gehorsam, Sittsamkeit und Regsamkeit; und in dem Erlernen von Fertigkeiten für Haus-, Garten-, Hof- und Handwerksarbeiten. Dazu kamen die Anfänge von lesen, schreiben, rechnen, kam die Erkundung der Natur, kamen Gesang und biblische Geschichten.

Fürstin Pauline zu Lippe-Detmold (1789–1820) gründete 1802 die erste deutsche „Kindertageseinrichtung“, die sie „Aufbewahrungsanstalt für kleine Kinder“ nannte. Die oben genannten Ziele und Erziehungsformen fanden sich hier teilweise wieder und wurden im Sinne einer „Wohltätigkeit für die Kinder“ vollzogen.
Der evangelische Pfarrer Theodor Fliedner (1800–1864) gründete – inspiriert durch das englische Modell der Kleinkinderschulen – 1835 in Düsseldorf eine Strickschule für Kinder (und ihre Mütter) und 1836 in Kaiserswerth bei Düsseldorf eine Kleinkinderschule. Bei ihm und bei den vielen Einrichtungen, die nach seinem Vorbild gegründet wurden, dominierte offensichtlich die Auffassung, dass die Kinder nach schulischem Muster lernen und sich entwickeln sollten. Dazu brauchte es geschulte Kräfte. Deshalb verband Fliedner die Gründung seiner Einrichtung in Kaiserswerth mit der Ausbildung von weiblichem Personal für die Erziehung kleiner Kinder. Er schuf die erste Ausbildungsstätte für frühpädagogische Fachkräfte in Deutschland.

Theodor Fliedner gilt neben Friedrich Fröbel als einer der bedeutendsten Vertreter der öffentlichen Kleinkinderziehung im 19. Jahrhundert.
Bei beiden dominierte ein bildungspolitisches Motiv – auch bei Friedrich Fröbel mit der von ihm entwickelten Spielpädagogik für seine „Spiel- und Beschäftigungsanstalt“, die er ab 1840 „Kinder-Garten“ nannte.
Bei anderen Vertretern und vor allem bei den kirchlichen Trägern von Einrichtungen der Kleinkinderziehung dominierte das sozialfürsorgliche Motiv.

Das sozialfürsorgliche Motiv für eine institutionelle Kleinkinderziehung

Im 19. Jahrhundert nahm die Bevölkerung in Deutschland unter anderem aufgrund der verbesserten medizinischen Errungenschaften, aufgrund des Rückgangs der Mütter- und Kindersterblichkeit enorm zu. Auf dem Land konnte die Bevölkerung schließlich nicht mehr ausreichend ernährt werden. Die Menschen versuchten in den Städten, vor allem in den großen Industriezentren, ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Es kam vielerorts zu einer Landflucht, bis zu 80% der Bevölkerung zogen vom Land in die großen Städte. Dadurch wandelten sich auch die gewohnten Familienstrukturen gewaltig – vor allem mit dem Effekt der Reduzierung der Familie auf zwei Generationen. Zudem mussten alle – Väter, Mütter, Kinder – einer Erwerbsarbeit nachgehen, um das Überleben der Familie zu sichern. Denn der Lohn eines Mitglieds der Familie allein reichte lange nicht aus. Oft kam es zu einer Verelendung der Familien, und die Leidtragenden waren die kleinen Kinder: Ihre Betreuungssituation verschlechterte sich dramatisch. Deshalb waren die Bewahranstalten und Kindergärten, vor allem die von den beiden großen Kirchen, ihren Wohlfahrtsverbänden und Ordensgemeinschaften gegründeten und betriebenen, dem christlichen Nächstenliebe- und Fürsorgegebot folgend, eher fürsorglich ausgerichtete Einrichtungen: Es ging um den Schutz, die Betreuung, die Pflege der Kinder und die Entlastung der Mütter, und dann auch um Bildung.

Das bildungspolitische Motiv für eine institutionelle Kleinkinderziehung

Dieses Motiv wurde vor allem von der „Fröbelbewegung“ favorisiert, also jenen Pädagoginnen und Pädagogen, die in der Tradition von Friedrich Fröbel eine Pädagogik vertraten und praktizierten, die einen stark schulischen Charakter hatte. Sie forderten für tendenziell alle Kinder die Ermöglichung des Besuchs einer vorschulischen Einrichtung, unabhängig des Förderbedarfs aufgrund der Lage der Familie. Letztlich zielte dies darauf ab, den vorschulischen Bereich ins Volksbildungswesen einzugliedern.
Der Unterschied zur Schule sollte – zumindest nach Fröbel – dennoch erhalten bleiben. Deshalb stand im Mittelpunkt seiner Pädagogik die Selbsttätigkeit und damit auch die Selbständigkeit des Kindes, die er durch das Spiel mit den von ihm konzipierten Spielmaterialien anregen und fördern wollte (in den sozialfürsorglichen, als vor allem den kirchlichen Einrichtungen, galt das Spiel eher als Belohnung für eine geleistete Arbeit).

Auf dem Weg zu einer eigenständigen Kindergartenpädagogik

Der weitere Ausbau der Kindertageseinrichtungen im 19. und vor allem im 20. Jahrhundert fand vor allem im Bereich der freien Träger statt, allen voran der kirchlichen Träger: bei Ordensgemeinschaften, Vereine und Kirchengemeinden. Diese wurden allerdings kontrolliert und reglementiert von staatlichen Behörden. Die Behörden hatten allerdings stärker die bildungspolitisch motivierten Träger und Einrichtungen im Blick, die eine starke Annäherung von Kindergärten und Schule anstrebten.
Die konfessionellen Träger dagegen waren mit ihren sozialfürsorglichen Einrichtungen näher an den Bedarfslagen der Familien, vor allem aus den Unterschichten, dran. Sie setzten eindeutig auf die famlienunterstützende Betreuungsfunktion ihrer Einrichtungen.
Als es Ende des 19. Jahrhunderts zu einer Annäherung zwischen dem inzwischen etablierten Fröbelverband und den konfessionellen Trägern kam, ließ sich der Verband zunehmend auf das Konzept eines Volkskindergartens ein und rückte von seiner Idee der Integration des Kindergartens in das allgemeine Bildungssystem ab. Offiziell wurde eine Distanzierung zwischen Kindergarten und Schule auf 1920 der Reichsschulkonferenz ausgesprochen, auf der es kaum noch eine Stimme gab, die sich für eine Verbindung von Kindergarten und Schule aussprach. Durch die Verabschiedung des Reichsjugendwohlfahrtgesetzes 1922, das unter anderem den Vorrang der freien Träger der Jugendhilfe vor den öffentlichen entschieden hat, wurde von administrativer Seite die Fürsorgefunktion der Kindergärten festgeschrieben.

Nun begann die Entwicklung einer eigenen Kindergartenpädagogik mit einer starken Akzentsetzung auf Betreuung und Pflege und auf der Erziehung der Kinder. Für die konfessionellen Einrichtungen gehört zu dieser Erziehung die religiöse Unterweisung und Christenlehre wesentlich dazu. Im Kontext von Kirchengemeinden etablierte sich auch eine Kinderkatechese und Kinderseelsorge.

Der Bildungsauftrag von Kindergärten wurde unter den Erziehungsauftrag subsumiert. Das hat es den kirchlichen Einrichtungen erschwert, in ihren genuinen Erziehungskonzepten die religiöse- und Werteerziehung als „Bildung“ auszuweisen. Zu stark waren religiöse und Werteerziehung auf eine kirchliche Sozialisation ausgerichtet, also auf die Erziehung zu einem Christenmenschen und auf die Einführung in die Grundvollzüge und das Leben der Gemeinde.
Diese Feststellungen sollen die Achtung vor den Bemühungen um eine kindgerechte Kindergartenpädagogik einschließlich des Bereichs der Religion und der Werte nicht schmälern: Die konfessionellen Träger und ihre Einrichtungen hatten einen großen Anteil an der Entwicklung einer Pädagogik, die für die heutige Elementar- bzw. Kindheitspädagogik eine gute Basis darstellt.

Mit einem eigenen Bildungsauftrag zu einer Bildungseinrichtung etabliert

In der Bundesrepublik kam es in den 1960er und 1970er Jahren zu einem bildungspolitischen Aufbruch (unter anderem infolge des „Sputnik-Schocks“). Das gesamte Bildungssystems wurde hinterfragt – vom Kindegarten über die Schulen und Hochschulen bis zu den Ausbildungsstätten und der Erwachsenenbildung: Das Bildungssystem sollte auf die Entwicklung des Landes zu einer Wissensgesellschaft eingeschworen werden, es sollte zu einer umfassenden Bildung aller Bürger verhelfen und die berufliche Qualifikation der arbeitenden Bevölkerung deutlich erhöhen (und die Betriebe und Unternehmen damit wettbewerbsfähiger machen). Bei der nachhaltigen Weiterentwicklung des Bildungssystems stand auch die Frage nach dem Bildungsauftrag des Kindergartens neu zur Disposition, und die Idee seiner Funktionalisierung als Vorschule fand neuen Aufwind (manche Kita hat noch die Vorschulmappen von damals in ihrem Keller gebunkert).

Seit dieser Zeit wird vom Kindergarten als „Elementarbereich“ des Bildungssystems gesprochen. Andererseits gehören die Kindergärten organisatorisch dem Kinder- und Jugendhilfebereich an und damit dem Bereich der „Öffentlichen Verantwortung für das Aufwachsen der Kinder hierzulande“ (in der früheren Diktion: „der öffentlichen Fürsorge für Kinder und ihre Familien“).
Es setzt sich also das alte Spannungsverhältnis bis heute fort, das in der doppelten Mandatierung des Kindergartens bzw. der Kindertageseinrichtungen besteht – zum einen das Mandat zur frühkindlichen Bildung, zum anderen das Mandat zur familienunterstützenden Dienstleistung und Fürsorge für das Kind. Auf der operativen Ebene schlägt sich dieses Doppelmandat beispielsweise im Selbstverständnis und in der pädagogischen Praxis der Fachkräfte nieder: Diese verstehen sich sowohl als „Bildungsexpertinnen in Sachen frühkindlicher Bildung“ als auch als „halbe bis ganze Sozialarbeiter/innen“ mit einem Schutz-, Betreuungs- und Pflegauftrag.

Momentan liegt der offizielle Schwerpunkt auf dem Bildungsauftrag, was sich vor allem an zwei Entwicklungen manifestiert: Zum einen haben alle Bundesländer vor Jahren bereits Orientierungs- und Bildungspläne für Kindertageseinrichtungen aufgelegt, die sowohl die Inhalte als auch die Nachweise der Qualität der Bildungsarbeit verbindlich gemacht haben und sie nachhaltig steuern. Zum anderen wurde in den letzten Jahren enorm viel in die Kindheitsforschung investiert mit dem Fokus auf dem Lernen von Kindern von Anfang an und mit dem Fokus auf den Bedarfen der Kinder an Begleitung, Unterstützung und Förderung bei der Entwicklung zu einer starken (resilienten) Persönlichkeit.
Diese Bilanz trifft auf die Kindertageseinrichtungen im ganzen Land zu. In der Zeit vor der Wende verliefen die Entwicklungen in West- und Ostdeutschland sehr unterschiedlich.

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